Der Bergpfarrer – 149 – Bis wir uns einmal Wiedersehen ...

Der Bergpfarrer
– 149–

Bis wir uns einmal Wiedersehen ...

Denkst du noch an den Schwur von einst?

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-894-1

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Es war der letzte Schultag vor den Ferien, und die Kinder waren entsprechend aufgeregt. Im Klassenraum herrschte ein aufgeregtes Durcheinander, Stimmen schwirrten, und kaum jemanden hielt es noch an seinem Platz.

Clara Ritter atmete erleichtert auf, als die Klingel das Ende des Unterrichts verkündete.

»Also, dann wünsch ich auch schöne Ferien und kommt mir gesund und munter wieder«, gab sie den Buben und Madln mit auf den Weg.

Aber da waren die meisten der Drittklässler schon hinausgestürmt. Die junge Lehrerin packte ihre Tasche und verließ den Klassenraum. Auf dem Flur traf sie auf die Kollegin aus der Parallelklasse.

»Himmel, war’s bei dir auch so schlimm?« erkundigte sich Hilde Bergmann. »Heut’ waren die richtig außer Rand und Band.«

Clara lächelte. Im Gegensatz zu der Kollegin empfand sie es nicht ganz so schlimm, was vielleicht daran liegen mochte, daß Hilde Bergmann schon kurz vor der Pensionierung stand und somit mehr als vierzig Jahre Schuldienst hinter sich gebracht hatte, während Clara erst seit zwei Jahren unterrichtete.

»Jetzt sind ja erst einmal Ferien«, meinte sie. »Ich wünsche dir, daß du dich gut erholst.«

»Das kann ich auch gebrauchen«, die ältere Frau nickte nachdrücklich. »Und was machst du? Fährst du weg?«

»Ja, ich habe mir gedacht, daß ich die zwei Wochen dazu nutzen kann, mich wegen der Klassenfahrt im nächsten Schuljahr umzuschauen. Ist zwar noch ein wenig hin, aber du weißt ja selbst, wie die Zeit dann rast.«

»Hast du etwas Bestimmtes ins Auge gefaßt?«

»Ich hab’ überlegt, vielleicht einmal in die Berge zu fahren«, erklärte Clara. »Früher sind wir oft in St. Johann gewesen, das ist ein schöner und ruhiger Ort. Jetzt hab’ ich gehört, daß es dort ein Jugendheim gibt, und wollte mich mal erkundigen, ob man da auch mit einer Schulklasse unterkommen kann.«

»Dann wünsche ich dir eine gute Reise«, verabschiedete sich Hilde Bergmann. »Ich bleibe zu Hause. Gerhard ist ja aus seinem Garten nicht wegzubekommen, und eigentlich finde ich es ja auch ganz schön. Also, bis in vierzehn Tagen.«

Clara schloß ihren Wagen auf und stellte die schwere Schultasche auf den Beifahrersitz. Als sie vom Parkplatz fuhr, war sie in Gedanken schon bei ihrer Fahrt in die Berge. Auf die Idee, eine Klassenfahrt dorthin zu machen, war sie gekommen, als sie in alten Fotoalben geblättert hatte. Acht Jahre war es her, daß die damals Siebzehnjährige in St. Johann Urlaub gemacht hatte, und auf den Fotos waren nicht nur herrliche Schnappschüsse zu sehen, da waren auch Fotos dabei, auf denen Mark abgelichtet war. Schon bei dem ersten Bild durchfuhr sie ein wahrer Ansturm herrlicher Erinnerungen! Der junge Engländer, genauso alt wie sie, hatte mit seinen Eltern in derselben Pension gewohnt, so war es nur natürlich, daß die beiden Teenager sich kennenlernten und danach die ganze Zeit miteinander verbrachten. Und dann beim Abschied waren dann dicke Tränen fällig! Adressen und Telefonnummern wurden getauscht und das gegenseitige Versprechen abgenommen, in Verbindung zu bleiben. Sie gelobten feierlich, sich zu schreiben und oft miteinander zu telefonieren.

Die ersten Wochen und Monate hatte es auch gut funktioniert, aber dann kam es, wie es kommen mußte: Aus den Augen, aus dem Sinn! Die Briefe wurden spärlicher und kürzer, die Telefonrechnungen waren ohnehin zu hoch geworden, und schließlich hörte man gar nichts mehr voneinander.

Clara hatte sich oft gefragt, was aus Mark geworden war, und ob sie ihn vielleicht einmal wiedersehen würde. Aber das war wohl eher unwahrscheinlich. Jedenfalls war es eine wunderschöne Zeit gewesen, die zu ihrem Leben gehörte, und die sie niemals vergessen werden würde.

Zu Hause angekommen, stellte sie die Tasche in das kleine Arbeitszimmer. Clara Ritter bewohnte eine Dreizimmerwohnung am Rande Münchens. Die Schule, an der sie unterrichtete, befand sich im nächstgelegenen Dorf, das beinahe schon zur bayerischen Landeshauptstadt gehörte, aber eine eigenständige Gemeinde war. Vor zwei Jahren hatte Clara dort ihre erste Stelle angetreten und sie fand es schön, auf dem Dorf zu arbeiten, gleichzeitig aber der Großstadt so nahe zu sein.

Sie warf einen Blick auf den Anrufbeantworter, dessen rotblinkendes Licht signalisierte, daß es Nachrichten für sie gab. Clara drückte die Taste. Zunächst hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die um Rückruf bat, bevor die Tochter in die Ferien fuhr. Dann gab es einen Anruf von einer Freundin, die sie an den Geburtstag einer anderen Bekannten erinnerte, und schließlich vernahm sie die Stimme von Rainer Herbig.

Clara drückte die Löschtaste, ohne die Nachricht zu Ende zu hören.

Dieses Kapitel war für sie abgeschlossen, und es wäre ihr lieber gewesen, er würde sich nicht mehr melden!

Nun ja, morgen fuhr sie los, und dann hatte sie erst einmal Ruhe vor ihm.

Nachdem sie sich etwas zu essen zubereitet hatte, setzte sie sich an den Schreibtisch und ging noch einmal die Liste durch. Es war ein Glücksfall gewesen, daß sie sich rechtzeitig darum gekümmert hatte, eine Unterkunft zu buchen. In der Pension war gerade noch ein Zimmer frei gewesen. Clara freute sich darauf, die Wirtin wiederzusehen, obgleich sie kaum annahm, daß Ria Stubler sie nach all den Jahren noch kennen würde.

Nach einem kurzen Mittagsschlaf packte sie die Reisetasche, dann ging es zum Geburtstagskaffee. Clara wollte den Besuch nicht zu lange ausdehnen, denn gleich am nächsten Morgen sollte es losgehen.

Als sie dann am Abend in ihrem Bett lag und die Augen schloß, sah sie das Bild wieder vor sich: Sie und Mark beim Abschied vor acht Jahren. Der nicht enden wollende Kuß, die Tränen, die Worte, mit denen sie sich gegenseitig zu trösten versuchten.

Und irgendwie war sie ganz aufgekratzt, gerade so, als würde sie ihn morgen wiedersehen…

*

Im Pfarrhaus von St. Johann saßen Sebastian Trenker und sein Bruder Max zusammen mit der Haushälterin beim Mittagessen. Wie immer hatte Sophie Tappert ein leckeres Mahl zubereitet, und besonders der junge Polizeibeamte griff herzhaft zu.

Während des Essens drehte sich das Gespräch um ein Ereignis, das nicht nur im Pfarrhaus Thema war. Es ging dabei um den Erlenbachergrund, der nach einer Gemeindereform St. Johann zugeschlagen worden war. Nun sollte darauf, nach dem Willen des Bürgermeisters, ein Hotel entstehen, das vor allem Jugendliche ansprechen sollte. Genauer gesagt, wollte Markus Bruckner dort ein »Eventhotel« für junge Gäste bauen, in dem es aller erdenklichen Freizeitmöglichkeiten geben sollte: angefangen mit einer Diskothek, bis hin zum Freizeitbad und sogar ein Golfplatz war geplant.

Natürlich war es gar keine Frage, daß Pfarrer Trenker gegen so einen Monsterbau, der nicht nur für die Umwelt eine Katastrophe sein würde, Sturm lief. Und der Geistliche hatte zahlreiche Unterstützer, die auf seiner Seite standen. Allerdings waren ihnen die Einzelheiten bisher nicht bekannt. Alles war noch in der Planung, keiner wußte, ob es überhaupt schon einen Investor gab, und das Projekt hatte noch nicht einmal den Gemeinderat passiert, der es genehmigen mußte.

Hier allerdings hatte Markus Bruckner mit seiner Fraktion die Mehrheit. Mit diesen Stimmen war es nur eine Frage der Zeit, bis die Genehmigung durch war.

»Gestern hab’ ich den Bürgermeister mit einem Mann gesehen«, erzählte der Bergpfarrer. »Ich hab’ keine Ahnung, wer das ist. Aber ich könnt’ mir denken, daß es sich dabei um den Geldgeber handelt.«

Er schüttelte den Kopf.

»Irgendwie ist die ganze Situation unbefriedigend«, setzte er hinzu. »Ich muß herausbekommen, wer der Mann ist, der im ›Löwen‹ wohnt.«

»Hast’ dich denn noch net erkundigt?« fragte Max.

»Schon«, antwortete sein Bruder. »Aber der Sepp rückt net so recht mit der Sprache heraus. Jemand aus München, hat er auf meine Frage geantwortet. Ich vermute, der Bruckner hat ihn zum Schweigen verdonnert.«

Sepp Reisinger, Inhaber des Hotels »Zum Löwen«, gehörte ebenfalls der Fraktion des Bürgermeisters an…

»Jedenfalls werd’ ich versuchen, die Bekanntschaft dieses Mannes zu machen«, erklärte der Bergpfarrer. »Ich hab’ das Gefühl, daß er was mit dem Hotel zu tun hat. Wenn ich da genauer Bescheid weiß, können die Leute von der Umweltgruppe überlegen, wie sie vorgehen wollen.«

»Der Huber hat schon mal vorgefühlt«, erzählte der Polizist. »Sie planen eine Demonstration, und er wollt’ wissen, wo er sie genehmigen lassen muß.«

»Ja, ich weiß. Sie stehen schon regelrecht in den Startlöchern. Aber erst einmal müssen wir abwarten.«

Nach dem Essen ging Max wieder zum Revier hinüber. Sebastian saß in seinem Arbeitszimmer und schaute die Post durch, wozu er noch nicht gekommen war. Anschließend fuhr er zum Burgthalerhof hinauf. Dort hatte es in der vergangenen Woche gebrannt. Ein Blitzschlag setzte die Scheune in Brand, die bis auf die Grundmauern niederbrannte.

Der junge Bauer war gerade dabei, die Aufräumarbeiten fortzusetzen, als der Geistliche auf den Hof fuhr.

»Grüß dich, Georg!« Sebastian nickte ihm anerkennend zu. »Das schaut ja schon wieder ganz ordentlich aus.«

Er deutete auf den Traktor und den Mähdrescher, an der Seite des Stalles.

»Und die Maschinen hast auch schon.«

»Ja, Hochwürden«, nickte der Bauer, »es geht wieder voran. Das hab’ ich vor allem Petra zu verdanken.«

Die junge Frau trat im selben Moment aus dem Haus. Auf dem Arm trug sie ein Baby.

»Himmel, das ging ja schnell bei euch!« Sebastian schmunzelte.

Petra Klausner errötete.

»Das ist Thomas, mein Neffe«, erklärte sie rasch. »Ich hab’ zu mir genommen, um die Burgl ein bissel zu entlasten.«

»Das hab’ ich mir auch schon gedacht«, meinte der Geistliche. Er lächelte und strich dem schlafenden Bub ganz sanft über die Wange.

Bei Kaffee und Kuchen ließen sie die vergangenen Tage noch einmal Revue passieren. Es hatte sich allerhand ereignet, und es fing damit an, daß Maria Riemer, die alte Magd des Burgthalerhofes mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Georg, der den vom Vater geerbten Hof zusammen mit Maria bewirtschaftete, sah sich von einem Moment auf den anderen auf sich alleine gestellt, was er mehr schlecht als recht bewerkstelligte.

Petra Klausner lebte auf dem Hof ihres Bruders. Dessen Frau war schwanger, was sich vielleicht auf das Verhältnis zur Schwägerin auswirkte. Jedenfalls ließ Walburga Klausner ihre Launen ständig an Petra aus, bis eine Situation das Maß voll machte, und die junge Frau schließlich den Hof verließ. Sebastian Trenker hatte derweil unermüdlich versucht, einen Ersatz für Maria zu finden, was indes unmöglich schien. Zu dieser Jahreszeit waren die Gehilfen in der Landwirtschaft bereits in festen Stellungen, und es mußte schon ein großer Zufall sein, sollte sich doch noch jemand finden.

Wie so oft im Leben, spielte aber auch hier der Zufall eine entscheidende Rolle. Als Petra Klausner sich an den Bergpfarrer wandte, vermittelte dieser die junge Frau sofort an Georg weiter. Zwar zögerte der junge Bauer zunächst, doch dann sollte es sich noch als Segen erweisen, Petra als neue Magd eingestellt zu haben.

Der Burgthalerhof stand denkbar schlecht dar. Mehrere aufeinander folgende Mißernten hatten Georg an den Rand des finanziellen Ruins gebracht, zumal er auch noch Altschulden seines Vaters abzahlen mußte. Als dann das Feuer ausbrach, schien alles zu Ende zu sein. Die Bank verweigerte einen größeren Kredit, Scheune und landwirtschaftliche Geräte waren verbrannt, und Georg verlor allen Mut.

Es war Petra, die ihn wieder aufrichtete. Längst hatten die beiden sich ineinander verliebt, und die zukünftige Bäuerin vom Burgthalerhof sorgte dafür, daß alles wieder ins Lot kam. Sie ließ sich einen Teil ihres Erbes auszahlen, der Bruder überließ Georg einen alten Mähdrescher, und der Traktor wurde gebraucht gekauft. Nachdem die Versicherung nun auch das Geld für die abgebrannte Scheune überwiesen hatte, konnte es einen Neubeginn geben.

Sebastian war überzeugt, daß Petra und Georg es packen würden. In dieser Beziehung hatte er überhaupt keine Bedenken. Was ihm vielmehr Sorge machte, war die Angelegenheit um den Erlenbachergrund. Hier mußte er so schnell wie möglich tätig werden.

*

»Schauen S’‚ Herr Driestner, ist das net ein herrliches Areal für unser Hotel?«

Markus Bruckner hat weit ausgeholt und deutete auf den Erlenbachergrund.

»Ich seh’s schon richtig vor mir«, fuhr er fort. »Ein Hotel, wie’s die Welt noch net geseh’n hat.«

Burckhard Driestner blickte über die weite Fläche. Er nickte zustimmend.